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Während meiner diesjährigen Unterrichts-Tour in Europa (2022) habe ich einen Blog geschrieben, den ich in mindestens drei Teilen veröffentlichen werde. Die Seminare dieses Sommers konzentrierten sich auf das Thema, In/Yo (Aiki) im eigenen Körper hervorzubringen. Die Idee war, daß die Teilnehmer in die Lage versetzt werden, zu erleben (und sei es auch in noch so geringem Maße), wie Aiki erzeugt wird/entsteht, und dadurch zu erkennen, ob Aiki im Spiel ist oder nicht; es sollte die Fähigkeit veranschaulicht werden , In/Yo (Aiki) neu zu erschaffen; anderen dabei zu helfen, dasselbe zu erfahren und zu tun; zu verstehen, wie diese Erfahrung hervorgebracht und ausgebaut werden kann, um dann zu beginnen, diese Fähigkeit dahingehend zu entwickeln, daß Aiki mit größerer Zuverlässigkeit erzeugt und angewendet werden kann. Ein weiteres Ziel war, die Teilnehmer (via Ken) in einer freien Übungsform an die Fähigkeit und Methode heranzuführen, mit Spaß und angstfrei Aiki auszudrücken. Die Idee war ein Spiel mit freiem Angriff und Erwiderung (letztendlich löst sich die Trennung zwischen Angriff und Erwiderung auf) ohne auf Konzepte wie Waza, Kata, Kooperation, Timing usw. zurückgreifen zu müssen. Die Erfahrung und Erkenntnisse aus dieser Übung lassen sich dann übertragen auf ähnliches freies Üben – waffenlos oder mit anderen Waffen.
Meine Hoffnung ist, daß für die Teilnehmer mit der Zeit das Verstehen reift, daß Aiki und das Studium von Aiki (Aikido) unverändert bleiben, auch wenn sich der äußere Kontext ändert.

Interessante Nebenbetrachtung: Dies hier ist für das Verständnis des Blogs unerheblich, mag aber durchaus von Interesse sein. ~ Eines Tages erwies mir George Ledyard Shihan die Ehre, indem er mich bat, in seinem Dojo ein Seminar abzuhalten. Für den Zusammenhang: George und ich begegneten uns, als ich zum ersten Mal mit Shirata Sensei zusammentraf und George im Begriff war, sein erstes Dojo zu eröffnen. Seit dieser Zeit hatte ich häufig das Vergnügen, Georges Aikido Eastside Dojo zu besuchen und dort zu trainieren, wenn er verschiedene Größen aus Aikido und Daito Ryu zu Gast hatte. Ich lehnte ich Georges Angebot damals ab. Meine Sorge war, daß die Teilnehmer kommen würden, um “Vorkriegs-Aikido” (Daito Ryu) zu lernen und mit der Vorstellung wieder fortgehen würden, daß es das war, was Shirata Sensei lehrte, weil es das war, was Allen unterrichtete. Ehrlich gesagt glaube ich, daß das damals vermutlich die richtige Entscheidung war, weil wahrscheinlich genau das geschehen wäre.

Einmal hielt ich mich gleichzeitig mit Howard Popkin (Daito Ryu Ginjukai) in George Ledyards Haus auf. George und Howard unterhielten sich und kamen irgendwann auf Dan Harden zu sprechen. Keiner von beiden war ihm bisher begegnet, und sie unterhielten sich über Dans im Internet veröffentlichte Texte. Zuerst hörte ich einfach nur zu, aber dann mischte ich mich ein. Ich sagte, daß es nach meinem Verständnis Jujutsu, Aikijujutsu und Aiki no Jutsu gebe. Beide wußten wer mein Lehrer war, und ich erklärte, daß ich Jujutsu und (zu einem gewissen Maß) Aikijujutsu unterrichten könnte, aber daß Aiki no Jutsu sich meinem Verstehen entzog. Ich wusste, wie es auszusehen hatte. Ich wusste, wie es sich anfühlen sollte. Aber (weil ich gelernt habe, ehrlich zu sein) erklärte ich meinen Schülern regelmäßig, daß ich einen Teil dessen unterrichten könnte, was ich gelernt habe, aber daß es da immer noch diesen letzten Teil gab, den ich immer noch nicht verstand … und daß wir vielleicht später gemeinsam daran arbeiten könnten. (Ich muss Howard zugute halten, daß er mir später sagte, er schulde mir etwas für diese Unterhaltung.) Ich erklärte George und Howard, daß ich von dem, was ich gelesen hatte, der Ansicht war, daß Dan wahrscheinlich ein Daito-Ryu-Mann war UND daß es in seinen Texten um Aiki no Jutsu ging. Nicht lange danach hatte ich das große Glück, daß Dan mich besuchte und zu unterrichten begann. Was er mir vermittelte war eine unschätzbare Hilfe für mein Verstehen von Aiki no Jutsu, und es versetzte mich in die Lage, meine Wissenslücken zu füllen, die nach Shirata Senseis Tod geblieben waren. Ja, ich bin wohl ein wenig begriffsstutzig, und ich benötigte die Hilfe von Ueshiba, Shirata und Harden “meine Augen für Budo zu öffnen”.

Heute fühle ich mich mehr in der Lage, dem gerecht zu werden, was unterrichtet wurde. [Übrigens: egal wo ich hingehe, ich versuche NIE an Dan Hardens statt zu unterrichten. Manchmal fragen mich Leute, was hinter diesem oder jenem steckt, usw. Dan lebt noch unterrichtet. Es wäre anmaßend von mir vorzugeben, ich verstünde genauso gut oder noch besser als er, was er unterrichtet. Wie könnte ich besser wissen und verstehen, was Dan Harden unterrichtet als Dan Harden?? Also antworte ich auf solche Fragen immer mit: “Frag ihn!”. Genausowenig behaupte ich, Shirata Rinjiros Aikido oder Daito Ryu zu unterrichten. Und niemals würde ich mich erdreisten zu behaupten Ueshibas Aikido oder Daito Ryu unterrichten. Ich kann immer nur Allens Auffassung dessen unterrichten, was Allen bis dahin gelernt hat. Hoffentlich nehmen die Tiefe und Breite dieses Lernen mit der Zeit zu. In anderen Worten: DANKE all denen, die mich bisher auf diesem wunderbaren Weg unterstützt und begleitet haben. Ohne euch wäre ich nicht, wo ich jetzt stehe!

Sehr häufig hört und liest man die Aussage: “Wenn Ueshiba Morihei erklärte, was Aikido ist, verstand niemand, wovon er überhaupt redete.” Und tatsächlich gaben die Meisten, die bei seinen Vorträgen zugegen gewesen waren, im Nachhinein zu, daß sie einfach nur endlich mit dem normalen Training weitermachen wollten. Aus vielen von ihnen wurden dann später allseits bekannte Aikido-Lehrer. Und schließlich kam es dazu, daß nachfolgende Aikido-Lehrer sich der Frage stellen mussten, was Aikido ist, während sie zugegebenermaßen die Ausführungen des Begründers des Aikido selbst nicht verstanden.

Von daher fanden Erklärungen, was Aikido ist, weite Verbreitung und es entstand vielfach die Auffassung, daß diese vom Begründer stammten oder ihm entsprachen, auch wenn sie wenig oder gar nichts mit den Ausführungen des Begründers des Aikido gemein hatten.  

So lasen spätere Aikido-Schüler Erklärungen oder Übersetzungen von Erklärungen, die statt der Vorträge des Begründers die Erfahrungen, Interpretationen oder intuitive Auffassungen verschiedener seiner Schüler als Quelle hatten. Dabei waren diese Erklärungen häufig mit Zitaten des Begründers garniert. Aber einzelne Zitate oder auch eine Sammlung einzelner Zitate unterscheidet sich qualitativ deutlich von einem Dialog oder Vortrag. Es ist daher wenig verwunderlich, daß wir eine verwirrende Vielfalt vorfinden von Erklärungen und Interpretationen, was Aikido tatsächlich ist. Der aktuelle Zustand ist verständlicherweise das erwartbare Ergebnis von Ursache und Wirkung.

Heißt das dann, daß die Lehre des Begründers dessen, was Aikido ist und darstellt, für heutige Aikido-Schüler verloren und vergessen ist? Glücklicherweise ist dem nicht so.  

Es gibt Publikationen, deren Inhalte von Ueshiba Morihei zumindest anerkannt und autorisiert sind (Budo Renshu, Budo, Aikido Ichi no Maki). Darüber hinaus gibt es Aufnahmen von Ueshiba Moriheis Erläuterungen, was Aikido ist, sowie ausführliche Niederschriften seiner Vorträge. Diese variieren inhaltlich abhängig vom Kontext, in dem sie entstanden sind, aber die immer wiederkehrenden Inhalte sind gleichbleibend. Mit anderen Worten, das Meiste von Ueshiba Moriheis konzentrierten Erklärungen war zuverlässig konsistent. Der Großteil dieser Überlieferung liegt in Ueshibas Muttersprache Japanisch vor, und ist bedauerlicherweise nicht allzu verbreitet verfügbar.

Dennoch befinden sich heutige Aikido-Schüler in einer glücklichen Position. Zunächst einmal sind da die wegweisenden Bemühungen des verstorbenen Stanley Pranin, der Teile seiner historischen Forschungsergebnisse sowohl in Japanisch als auch in Übersetzung zur Verfügung stellte, was Interessierte in die Lage versetzt, beides gegenüberstellend zu vergleichen. Derzeit gibt es weitere beweiskräftige Enthüllungen durch Forscher wie Scott Burke und den professionellen Übersetzer Chris Li, der seine Übersetungen historischer Quellen zusammen mit den japanischen Originalen frei verfügbar macht.  

Neben diesen gibt es noch weitere in der modernen Daito-Ryu-Welt, die aktiv forschen und ihre Ergebnisse teilen. Auch wenn einige dabei vielleicht ihren eigenen Zielen folgen, scheint es doch manche zu geben, die es schätzen, belastbare Beweise direkt und offen zu erörtern, wovon heutige und zukünftige Forschende profitieren können.

Der 4. Juli wird in den USA als ein Unabhängigkeitstag gefeiert. Ich wünsche allen Menschen Freiheit von Tyrannei und Unterdrückung, von Ignoranz, Hass und Gier, und möge der Friede obsiegen auf Erden. Lasst mich einen Anfang machen, hier und jetzt!

(Übersetzung: Karl Breuer)

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