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EINE EINFÜHRUNG

Ich möchte hier über den typischen Prozess schreiben, wie er sich bei der Entwicklung von “Internal Power” und Aiki ergibt, insbesondere möchte ich dabei auf die “Kuas” Bezug nehmen. Bevor ich anfange, über Yin/Yang – In/Yo, “Internal Power” und Aiki zu sprechen, scheint es mir wichtig zu klären, worauf sich diese Begriffe beziehen. Ich werde diese Begriffe hier in einer spezifischen Bedeutung verwenden, auch wenn sie im Laufe der Geschichte in den verschiedenen Kulturen auf unterschiedliche Weise benutzt wurden und werden. 

Yin und Yang, in den Kampfkünsten auch als In und Yo bekannt, werden oft als einerseits scheinbar gleich und andererseits gegensätzlich gedacht. Ich möchte hier konkreter werden.

Von “Internal Power” und Aiki wird häufig gesagt, sie seien nicht erklärbar und in Worten nicht fassbar, was das Tor öffnet für beliebige poetische, magische oder mystifizierende Deutungen. So werden etwa ungewöhnliche technische Fertigkeiten und/oder bloße menschliche Beeinflussbarkeit häufig und fälschlicherweise als Belege für “Internal Power” und/oder “Aiki” genommen. Auch hier möchte ich konkreter werden.

Warum? Solche unspezifischen Interpretationen können zu fehlerhaften Erklärungen und Überlegungen in Bezug auf die praktische Anwendung führen.

Ich denke es ist wichtig, die Begriffe “Internal Power” und Aiki nicht zu vermischen und sie stattdessen klar voneinander zu unterscheiden. “Internal Power” hat zweifelsohne eine Verwandtschaft mit Aiki, und Aiki kommt erst vollständig zum Ausdruck in Verbindung mit der Entwicklung von “Internal Power”. “Internal Power” nutzt Yin/Yang oder In/Yo, aber es kann nicht als Aiki betrachtet werden, wenn es verwendet wird, um Widerstand zu leisten oder zu erzeugen. 

Ich verwende diese Definitionen aus praktischen Erwägungen und weil sie im Einklang stehen mit den primären Wissensquellen für sowohl Interne wie Aiki-Künste.

DIE YIN/YANG ODER IN/YO BEZIEHUNG:

Hier ist das geläufige Symbol für Yin/Yang. Stellen wir zunächst fest, dass Yin und Yang als ein endloser Kreis zum Ausdruck kommen (ohne Anfang oder Ende). Also sind die beiden Energien von Yin/Yang ursprünglich immer Eins. Das Symbol hat einen weißen Anteil, der sich an der Stelle seiner größten Ausdehnung in sein Gegenteil, Schwarz, umwandelt. (Von daher muss es notwendigerweise das Vermögen, also quasi den “Samen”, in sich getragen haben, Schwarz zu werden. Dies kommt durch den schwarzen Punkt zum Ausdruck. Gleichermaßen, so wie der schwarze Anteil wächst, bringt er den weißen Anteil hervor. Also muss Schwarz das Vermögen, den “Samen”, für Weiß in sich getragen haben, was durch den weißen Punkt ausgedrückt wird. Konsequenterweise kann das Eine nicht ohne das Andere sein. Sie sind gemeinsam entstehend (co-arising), gegenseitig abhängig (co-dependent) und sich gegenseitig durchdringend (wie durch die Punkte zum Ausdruck gebracht). 

Um die Yin/Yang-Beziehung zu verstehen, müssen wir uns klarmachen, dass beide elementar miteinander verbunden sind und sich gegenseitig beeinflussen. Folgend versuche ich, praktische Beispiele dafür zu geben, was einer Yin/Yang-Beziehung entspricht und was nicht:

Die beiden oben abgebildeten Zahnräder können in entgegengesetzter Richtung rotieren, aber sie stehen nicht in einer Yin/Yang oder In/Yo Beziehung zueinander. Die Rotation des einen Zahnrades hat nicht zwangsläufig die Rotation des anderen zur Folge. Sie funktionieren nicht als Einheit und stellen daher KEIN Beispiel für eine Yin/Yang oder In/Yo Beziehung dar.

Diese beiden Zahnräder hingegen stehen in einer Beziehung zueinander, wie Yin und Yang oder In und Yo. Wenn das eine Zahnrad sich dreht, verursacht es die Drehung des anderen Zahnrades in entgegengesetzer Richtung. Dies ist damit ein klares Beispiel für eine Yin/Yang oder In/Yo Beziehung. Das eine bewirkt das andere. Die Bewegung der Zahnräder beginnt zur gleichen Zeit, sie hängen voneinander ab und ergänzen sich gegenseitig. Sie bilden eine Einheit und funktionieren als solche.

Mit Nachdruck: Eins wie zwei und zwei wie eins

Es wichtig festzustellen, dass die beiden Zahnräder in einer Yin/Yang oder In/Yo Beziehung wie eine Einheit verbunden sind. Beide, Yin/Yang oder In/Yo, sind das Ergebnis eines sich in Bewegung befindenden Ganzen, einer Einheit.

Beispiele einer scheinbaren (aber dennoch falschen) Yin/Yang oder In/Yo Beziehung sind zwei Aufzüge oder zwei Synchronschwimmer. Sie mögen sich durchaus in gleicher oder jeweils entgegengesetzter Richtung bewegen, aber ihre Bewegung ist nicht gemeinsam entstehend (co-arising) und auch nicht gegenseitig abhängig (co-dependent). Das eine von beiden kann ohne das jeweilige andere existieren und funktionieren. Sie sind also NICHT in einer Yin/Yang oder In/Yo Beziehung. Es ist wichtig, sich diese Unterscheidung klar zu machen.

ÄUSSERE KRAFT (EXTERNAL POWER):

Kraft wird in erster Linie von den großen Muskelgruppen erzeugt, die außen am Körper verteilt sind, wobei die Knochen als wirksame Hebel agieren. Diese Kraft wird üblicherweise durch eine Folge kinetischer Bewegungen gesteuert, die zu beobachtbaren äußeren Aktionen führen.

INNERE KRAFT (INTERNAL POWER):

Kraft entsteht hier durch die Vereinigung von Schwerkraft, Festigkeit der Erde und neurologischen Vorgängen. Diese Kraft wird von einem vereinigten Geist und Körper hervorgebracht, übertragen und effizient genutzt. Oft geschieht dies durch innere unbeobachtbare Bewegungen.

Wie man sieht gibt es eine mögliche Überschneidung der Definitionen von äusserer und innerer Kraft. Das ist aber kein Problem der Definition, sondern ein Faktum ihrer Beziehung. Jeder besitzt zu jeder Zeit die Möglichkeit zu äusserer und zu innerer Kraft, oder zu beiden gleichzeitig. Der Unterschied ist im Wesentlichen gradueller Art oder davon abhängig, welcher Aspekt stärker ausgeprägt ist. Praktisch jeder beginnt “außen” und arbeitet sich langsam zu einem besseren Verständnis von “innen” vor. Demnach liegen äussere Kraft und innere Kraft auf einem Kontinuum. Das sorgt für eine Menge Verwirrung und Missverständnisse. [Der Aufbau von] äusserer Kraft zielt im Wesentlichen darauf ab, die Entwicklung der großen Muskelgruppen zu verbessern und die Arbeitsleistung offensichtlicher Bewegungen mit maximaler Effizienz zu steigern. [Der Aufbau von] innerer Kraft hat zum einen zum Ziel, die Muskeln und die verbindenden Gewebe im Körper zu stärken, zum anderen soll innere Bewegung durch das neurologische System und den Geist (mind) weiterentwickelt werden. Noch einmal, alle Menschen haben einen Geist/Körper, also gibt es hier eine Überlappung und konsequenterweise unterschiedliche Auffassungen.

Das Konzept von innerer Kraft ist mehr als die blosse Aneignung von Fertigkeiten. Es erfordert das Wissen, wie Kraft im Körper erzeugt und genutzt wird. 

Diese Definition erfordert keine spezielles Einfühlungsvermögen, Beeinflussbarkeit, keinen Zwang oder Kooperation. Und auch wenn die Resultate von innerer Kraft (genauso übrigens von äusserer Kraft) außergewöhnlich, magisch oder mystisch wirken mögen, sind sie keineswegs die Resultate von Magie.

Es ist entscheidend, dass wir verstehen, dass innere Kraft nicht notwendigerweise mit Aiki gleichzusetzen ist.

Ein Katapult macht sich die Kraft der Rotation zunutze, gleichsam das inhärente Gleichgewicht von Yin und Yang – oder In und Yo – symbolisierend. Innere Kraft kann im menschlichen Körper erzeugt werden, ganz ähnlich wie strukturelle und Kräfte-Verhältnisse erzeugt werden. Allerdings wird üblicherweise äussere Kraft hierfür genutzt. Indessen ist die erzeugte Kraft (Wirkung?) (Aufprall des Geschosses) nicht ohne Widerstand (non-resistant) und würde daher nicht als Aiki betrachtet. Ein besseres Beispiel für einen Schlag durch innere Kraft ist ein Trébuchet. Es ist ein Beispiel für durch Yin/Yang oder In/Yo erzeugte Kraft, intern genutzt um “Wirkung” zu erzeugen, die nicht Aiki ist.

Aber Moment mal! Heisst es nicht immer: “Aikido ist 70 – 90% Atemi?”

Der Teufel im Detail: 

Indem man eine unangreifbare Positur annimmt, hat man die Möglichkeit “Metsu Boshi” auszuführen – einen Schlag, der das Sichtfeld des Gegners zerstört. Mit anderen Worten: ein Schlag, der auf keinerlei Widerstand trifft, Yang in Yin hinein. Er macht einen Gegner machtlos und wehrlos. Theoretisch ist dies im Einklang mit der Definition von Aiki, weil hier Yang in Yin hinein wirkt und kein Widerstand vorkommt. Durch diesen Vorgang wird ein “Gegner” widerstandslos, und der “Weg des Friedens” manifestiert sich. Anhand dieser Logik erklärt sich, warum die allseits bekannten Zitate “Aikido ist 70 – 90% Atemi” und “Im Aikido kann ein einzelner Schlag einen Gegner töten” neben anderen beliebten Zitaten wie “Aikido ist Liebe” erscheinen können.

Diese Anwendung von Aiki ist verwandt mit dem Angriff auf Pearl Harbor, mit dessen Planung Admiral Yamamoto Isoroku, Oberkommandierender der Vereinigten Flotte der Kaiserlichen Marine, während des Zweiten Weltkriegs beauftragt war. Die Kaiserliche Japanische Marine begab sich in eine unhaltbare Position, führte “Metsu Boshi” aus und traf damit die Amerikanische Marine wie aus heiterem Himmel. Theoretisch hätte dies die Amerikanisch-Westliche Flotte in eine Situation des Nicht-Widerstands werfen und somit die Regierung der Vereinigten Staaten in einen Pax Japonica befördern sollen.

Aber wie von Admiral Yamamoto bereits befürchtet, verliefen die Dinge trotz anfänglichen Erfolges nicht ganz so wie erhofft. Der “schlafende Riese” Amerika war geweckt worden und erklärte am folgenden Tag Japan den Krieg. Wenige Jahre später flogen zwei amerikanische Bomber zwei unhaltbare Positionen in Japan an und führten zwei Blendschläge (Metsu Boshi), denen kein Widerstand entgegen gebracht werden konnte. Damit geriet Japan in eine Situation des Nicht-Widerstandes und fiel alsbald unter den Pax Americana. 

Damals unterrichtete Ueshiba Morihei Admiral Yamamoto und etliche andere hochgestellte militärische Persönlichkeiten, Taktiker und Politiker in Aiki Budo. Zu vielen von ihnen, die den Zweiten Weltkrieg und die Nachkriegsprozesse überlebten, unterhielt er auch später enge Verbindungen.

“Der Mensch plant und Gott lacht.” Altes jiddisches Sprichwort

“Krieg ist Hölle!” William Tecumseh Sherman

AIKI:

Eine Yin/Yang- oder In/Yo-Beziehung (gegenseitig abhängige (co-dependent), gemeinsam entstehende (co-arising) Kräfte, die in einer komplementär-inversen Beziehung stehen), die inhärent widerstandsfrei ist und der sich daher nicht widersetzt werden kann.

Diese Definition von Aiki kann Innere Kraft – wie sie oben definiert wurde – mit einbeziehen, aber sie erfordert sie nicht notwendigerweise. Darüberhinaus steht sie im Einklang damit, wie der Begriff “Aiki” in den grundlegenden Quellen des Daito Ryu und Aikido verwendet wird. Dabei vermeidet sie die Stolperfalle, offen zu sein für jegliche Interpretation. Mit anderen Worten: sie entgeht der Schlussfolgerung, dass Aiki das bedeutet, was auch immer man meint, dass es bedeute.

Ein Fahrrad nutzt die Rotation von Zahnrädern und Kette, um die rotierende Bewegung der Räder zu erzeugen, und steht dabei symbolisch für eine harmonische Yin/Yang- oder In/Yo-Beziehung. Die Bewegung verläuft dabei tangential zum Boden, wo die Kräfte im rechten Winkel zusammenlaufen. Die “intern” erzeugte Kraft wird genutzt, um eine Aiki-Beziehung mit der Erde herzustellen. Aiki-Kräfte existieren im Fahrrad, als auch in den Zahnrädern, der Kette und den Rädern. Dabei haben sie eine widerstandsfreie Beziehung mit der Erde/dem Boden. Tatsächlich verkörpert das Fahrrad den Wesenskern von Ten, Chi, Jin, da es auf harmonische Weise die Schwerkraft, die Stabilität der Erde und das menschliche Element mit einander verbindet. Es begründet eine profunde Yin/Yang- oder In/Yo-Allianz und macht sich die Aiki-Prinzipien völlig zu eigen.

Zusammengefasst:

Die oben dargelegten Definitionen vermeiden erfolgreich die ausgeprägten Missverständnisse, die diese Begriffe und ihre Verbindung zu den jeweiligen Kampfkünsten und Traditionen umgeben. Eine verbreitete Fehldeutung, der man sich bewusst sein sollte, ist der Glaube, diese Begriffe und Konzepte bezögen sich allein auf Technik. Das tun sie nicht. Obwohl, eine Technik mag sich durchaus auf einen dieser Begriffe berufen und diesen auch im Namen tragen. Ein häufiger Fehler ist die Annahme, dass die Begriffe universell gedeutet werden können aufgrund ihrer fehlenden Genauigkeit in Form oder Technik, und dass ihre Bezüge häufig phänomenologischer oder metaphorischer Art seien. Das waren und sind sie nicht. Im Falle ihrer Verwendung in den Chinesischen und Japanischen Kampf-Traditionen sind ihre Bezüge spezifisch und zweckhaft. Mit anderen Worten: mit ihrer Verwendung sollten konkrete Bedeutungen vermittelt werden, die in ganz spezifischer Weise verstanden werden sollten.

Was folgt:

In meinem nächsten Blog werde ich über die “Kuas” schreiben sowie über den Entwicklungsprozess bezüglich Innerer Kraft und Aiki.

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