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Die meisten Aikidoka werden von Irimi Tenkan gehört haben und besitzen höchstwahrscheinlich auch eine Vorstellung davon, was diese Ausdrücke bedeuten. Meist sind Definitionen kaum wörtlich oder buchstabengetreu, sondern geben eher das persönliche Verständnis im Jargon desjenigen wieder, der die Definition vornimmt. Gelegentlich haben diese Definitionen nur noch wenig mit der wörtlichen Bedeutung der Schriftzeichen gemein, aus denen diese Ausdrücke bestehen.
Irimi – besteht aus zwei Schriftzeichen mit der jeweiligen Bedeutung “eintreten” und “Körper”
Tenkan – besteht aus zwei Schriftzeichen mit der jeweiligen Bedeutung “trans-” und “Veränderung”
Gemeinhin werden diese Ausdrücke im Aikido im Sinne von äußerlichen physischen Körperbewegungen verstanden. Dabei kann das genaue Aussehen dieser Bewegungen von “Stil” zu “Stil” variieren. Aber die Ausdrücke besitzen deutlich mehr Tiefe. Betrachten wir dazu, was Ueshiba Morihei in Erwiderung zu dem Ausspruch “Wenn du gezogen wirst, stoße – wenn du gestoßen wirst, ziehe” gesagt hat. Seiner Ansicht nach ändert sich der Ausspruch mit Blick auf Aiki folgendermaßen: “Wenn du gezogen wirst, tritt ein – wenn du gestoßen wirst, drehe dich.”
Die Entsprechung ist klar. Lasst es mich umformulieren: “Wenn du gezogen wirst, irimi – wenn du gestoßen wirst, tenkan“.
Hier wird deutlich, dass es nicht um bloße äußerliche Körperbewegungen geht, obwohl äußerliche Körperbewegungen die Bedeutungen hinter diesen Ausdrücken durchaus wiedergeben können. Irimi Tenkan sind allgemeingültige Beschreibungen vom Zusammenspiel von Kräften die unmittelbar mit einem speziellen Verständnis von Aiki zusammenfallen.
Wenn man gezogen wird, soll man nicht zurück ziehen, noch soll man versuchen, statisch zu bleiben oder zu stoßen. Alle drei dieser Erwiderungen erzeugen Widerstand, und wie von Personen, die nachweislich Aiki erzeugen können, wiederholt festgestellt: im Aiki gibt es keinen Widerstand. Wenn man, im Fall dass man gezogen wird, mit dem Ziehen “eintritt”, entsteht kein Widertand und es gibt auch keine Kraft, die überwunden werden müsste oder die einen überwältigen könnte. Darüber hinaus bedeutet “eintreten” Fortbewegung. Nun gibt es Unterschiede bei der Fortbewegung. Es sollte keine Überrasschung darstellen, dass in Aiki Fortbewegung selbst ein Ausdruck von Aiki ist. Mit anderen Worten, man bewegt sich durch Aiki. Wie? Durch Irimi und Tenkan! Man “tritt ein” durch Ausnutzung der vorliegenden Kräfte von Schwerkraft und Normalkraft und “transformiert” jeglichen möglichen Widerstand durch Rotation. Es entsteht ein resultierender Kraftvektor, der Bewegung zur Folge haben kann. In Aikido-Kreisen wird oft gesagt, man solle “eintreten”, aber worin besteht denn dieses “Eintreten”? Bewegt man sich durch Aiki oder durch Widerstand? Und wie weiter? Tritt man ein nur um zu ziehen oder zu stoßen? Falls ja, dann ist das sicher kein Ausdruck von Aiki, da hier Widerstand auftritt, was im vollkommenen Gegensatz zu Aiki steht. Aber es kann natürlich durchgehen als ein Beispiel für “wenn gezogen, stoße”. Vergessen wir nicht, ein wesentliches Merkmal von Aiki ist, dass man nicht in der Lage ist, die Ursache für das eigene Geworfenwerden (oder was auch immer mit einem geschieht) festzustellen. Warum? Weil es in einer echten Aiki-Situation keinen Widerstand gibt, und ohne Widerstand gibt es auch keine Rückmeldung über die wirkenden Kräfte. Das ist eine ganz gute Beschreibung, wie sich die wenigen Menschen mit echtem Aiki anfühlen. Man spürt die Wirkung, nicht aber die Ursache.
Wenn man gezogen wird, soll man nicht zurück ziehen, noch soll man versuchen, statisch zu bleiben oder zu stoßen. Alle drei dieser Erwiderungen erzeugen Widerstand. Tatsächlich stehen Stoßen und Ziehen definitionsgemäß in einer gegensätzlichen Kräftebeziehung. Andererseits, wenn man sich bereits in einer Rotation befindet (entweder mit oder ohne Fortbewegung) begegnet die ankommende “stoßende” Kraft der eigenen drehenden Kraft in einem rechten Winkel. Statt einer Begegnung mit Widerstand kommt es zu einer “Umwandlung” (Transformation) der sich treffenden Kräfte in einen neuen Kraftvektor. Um das nochmal zu sagen, in Aikido-Kreisen sieht man häufig, wie versucht wird, mit einer Drehung eine ankommende Kraft zu vermeiden. Das ist aber nicht “Umwandlung”, es ist Ausweichen. Ausweichen oder Gegenhalten (stoßen oder schieben) sind keine Beschreibungen von Aiki, “eintreten” und “umwandeln” sind es aber schon. Echtes Irimi Tenkan resultiert in echtem Aiki: eine Begegnung ohne Widerstand mit unfassbarem Ergebnis.
Beide Formulierungen: “Irimi Tenkan” und “Wenn gezogen, tritt ein – wenn gestoßen, wandle um” sind valide und brauchbare Beschreibungen von Kräftebeziehungen im Sinne von Aiki. Hat Ueshiba Morihei die Bewegung des eigenen Körpers als Ausdruck dieser Beziehungen unterrichtet und gezeigt? Unbedingt, ausführlich und oft. Ist also den eigenen Körper zu bewegen Aiki? Nein. Aiki ist ein ganz spezifisches Verhältnis von Kräften. Die einzige Möglichkeit festzustellen, ob man den eigenen Körper auf eine Weise bewegt, die Aiki hervorbringt, ist die Frage, ob die Merkmale von Aiki als Ergebnis dieser Bewegung hervortreten.
Hier ist ein weiteres Beispiel, das auf den ersten Blick der Intuition zu widersprechen scheint. Ueshiba Morihei hat häufig einen oder mehrere Schüler gegen einen Jo oder ein Bokken, das er in der Hand hielt, oder einfach nur gegen seinen eigenen Körper drücken lassen. Warum? Um Aiki in einem nicht-technischen, nicht-budo Kontext zu demonstrieren. Das heißt, er wollte zeigen, dass echtes Aiki weder budo noch Technik ist. Er stand oder saß und konnte nicht bewegt werden, was ein Merkmal von Aiki ist. Nicht bewegt zu werden, indem man Widerstand leistet, ist nicht Aiki. Nicht bewegt zu werden, aufgrund von Widerstreit und Aufeinanderprallen, ist nicht Aiki. Nicht bewegt zu werden, indem man der Kraft ausweicht, ist nicht Aiki. Wenn man nicht in der Lage ist, einen anderen zu bewegen und es erscheint vollkommen unerklärlich und unbegreiflich, weil man die Ursache dafür weder identifizieren noch benennen kann, DANN ist es Aiki.
Na wenn schon. All das kann so einfach als bloßes Theorisieren im Internet abgetan werden. Es ist immer einfacher an den eigenen Auffassungen festzuhalten als sie in Frage zu stellen. Es gibt genügend Menschen, die die Erzählungen und Berichte von Aiki für Humbug hielten, bis sie jemandem begegneten, der echtes Aiki hervorbringen konnte. Diese Begegnungen waren dann meist so umwerfend, dass die Personen anschließend selbst Aiki erlernen wollten oder zumindest bereit waren, daran zu glauben. Man kann es letztendlich niemandem verübeln, dass er oder sie an etwas zweifelt, das scheinbar jeglicher Lebenserfahrung widerspricht. Wenn man bedenkt, dass die Zahl derer, die in der Lage sind, die Merkmale von Aiki zu manifestieren, eher gering ist, während die Zahl derer, die dies nur von sich behaupten, weitaus größer ist, wird sich die Auffassung und Sichtweise diesbezüglich nicht so bald ändern. Nichtsdestotrotz entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass manche Vertreter mit den besten Absichten, in dem Bemühen ihre Abstammungslinie, ihre Erfahrungen und ihr Lernen zu verteidigen, die Bekundungen genau der Lehrer in Zweifel ziehen, deren Abstammungslinie sie zu vertreten hoffen. Letzten Endes begannen die meisten der historischen führenden Personen der verschiedenen Organisationen und Entwicklungslinien des Daito ryu und Aikido ihr Training nachdem sie mit einem der wenigen Vertreter von wahrem Aiki in Berührung gekommen waren und dabei eine unerklärliche und transformative Erfahrung gemacht hatten.
(Übersetzung: Karl Breuer)
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